Claude Anshin Angyo Thomas                         von Bernard Glasman

 

Ich habe Claude Thomas 1994 durch Michael O'Keefe, einen anderen Priester des Zen-Peacemaker-Ordens, kennen gelernt. Claude war ein athletischer Typ (er war jahrelang Lehrer für asiatischen Kampfsport), und sein Rücken war mit Tattoos übersät. Er trug sein langes blondes Haar in einem Pferdeschwanz. Schon als ich Claude das erste Mal traf, war ich beeindruckt von seiner erstaunlichen Offenheit und Verletzlichkeit. Er hätte über vieles, was er in seinem Leben getan hat, schweigen können, insbesondere über das, was er sich selbst und anderen angetan hat. Aber Claude war in jeder Hinsicht offen. Er hat mir Folgendes über sich erzählt. Nach seiner Kindheit und Jugend in einer Kleinstadt in Pennsylvania war er 1965 mit siebzehn Jahren in die US-Army eingetreten und dann sofort nach Vietnam abkommandiert worden. Man hatte ihm erklärt, er diene dort seinem Heimatland und der Freiheit, und das hatte er geglaubt. In Vietnam hatte er eine Ausbildung zum Hubschrauberschützen erhalten. Später war er Chef einer kleinen Hubschraubereinheit geworden. Er hatte Soldaten mit transporthubschraubern zu Kampfeinsätzen geflogen, und von Kampfhubschraubern aus kämpfenden Bodentruppen Feuerschutz gegeben. Claude war stets sehr sorgfältig und diszipliniert gewesen. In den ersten Dienstmonaten wetteten die zwölf Besatzungsmitglieder der drei Hubschrauber, die ihm unterstellt waren, wer von ihnen bei einem Einsatz die meisten Gegner abschießen würde. Manchmal gewann Claude diese Wetten. Wegen dieser Wetten merkte er sich genau die Zahl der Menschen, die er an jedem einzelnen Tag tötete, und deshalb weiß er, dass er in nicht einmal einem Jahr mehrere hundert vietnamesische Männer, Frauen und Kinder getötet hatte. Claude selbst wurde fünfmal abgeschossen und beim letzten dieser Abstürze irgendwo im Mekong-Delta schwer verletzt : Seine Schulter war zerschmettert, sein Gesicht völlig entstellt, Kiefer, Wangenknochen und Rippen gebrochen, und das Brustbein ebenfalls beschädigt. "Als ich Vietnam verließ, befand ich mich im Morphiumnebel.Mein Hals war gebrochen, und die Ärzte erklärten mir, sie müssten einen meiner Arme vollständig amputieren. Vor meinem Abtransport in die USA hielt eine Krankenschwester im Lazarett vierundzwanzig Stunden lang die Hand meines unverletzten Arms. Das Gesicht dieser Frau habe ich nie gesehen, und ich weiß nicht einmal, wie sie hieß."

Anschließend lag Claude neun Monate in einem Militärkrankenhaus in Kentucky. Nach der Genesung flog er in seine Heimatstadt. Als er auf dem Newark Airport in New Jersey das Flugzeug wechselte, näherte sich ihm eine Frau, die seine Uniform gesehen hatte, und spuckte ihm ins Gesicht. Er zog wieder zu seinen Eltern, begann ein Studium an einem College, brach es ab, fand keine Arbeit, wurde obdachlos und konsumierte Unmengen an Drogen. "Nachts überfielen mich die Erinnerungen - an Abschüsse, die ich erlebt habe, an die Schreie von Verwundeten und von Menschen, die ich getötet habe." Er reiste nach England und später in den Iran, weil er gehört hatte, man komme dort billig an Drogen. Und er wurde häufig gewalttätig. Einmal nahm die SAVAK, die Geheimpolizei des Schahs von Persien, ihn fest, verhörte ihn und folterte ihn einige Wochen lang. Er kehrte in die USA zurück, nahm 1983 an einem Rehabilitationsprogramm für Drogensüchtige teil und wurde Lehrer für asiatischen Kampfsport. Vor und nach jedem seiner Kurse meditierte er. 1989 gab er seine Tätigkeit als Kampfsportlehrer auf, weil er sich zunehmend dem Prinzip der Gewaltlosigkeit verpflichtet fühlte. Doch er litt weiter unter Erinnerungen an Vietnam und unterAlbträumen.

Ein Sozialarbeiter machte ihn auf einen vietnamesischen Zen-Mönch aufmerksam, der mit Vietnamveteranen arbeitete. Der Name des Mönchs war Thich Nhat Hanh, der von seinen Schülern und Vertrauten THAY (Tai gesprochen) genannt wird. Thay hatte sich im Vietnamkrieg für die Versöhnung der kriegsführenden Parteien eingesetzt und in Vietnam und insbesondere im Umkreis seiner Heimatstadt Hue eine Reihe von Sozialprojekten ins Leben gerufen. In den Sechzigerjahren hatte Martin Luther King Jr. ihn für den Friedens-Nobel-Preis vorgeschlagen. Er war sowohl von der südvietnamesischen Regierung als auch von den Kommunisten als Verräter bzw. Volksfeind angesehen worden, und er darf bis heute nicht in sein Heimatland zurückkehren. In Frankreich, seiner Exilheimat, hat er mit seinen vietnamesischen und westlichen Schülerinnen und Schüler eine Gemeinschaft der Achtsamkeit mit Namen PLUM VILLAGE aufgebaut. Thay besucht regelmäßig die Vereinigten Staaten und arbeitet auch mit Veteranen des Vietnamkriegs. Claude lernte ihn 1991 im OMEGA INSTITUTE in Rhinebeck im Staate New York kennen. "Als Thay den Raum betrat, in dem ich mit anderen Veteranen saß, war es, als trete mir der Feind, der Vietkong, von Angesicht zu Angesicht gegenüber." Für Claude waren alle Vietnamesen Feinde gewesen. Dies galt auch für buddhistische Mönche. Er war in Vietnam einmal zusammen mit vier anderen amerikanischen Soldaten in der Nähe eines kleinen Dorfes auf drei Männer in den Gewändern buddhistischer Mönche gertoffen. Nachdem sie an den Vietnamesen vorbeigegangen waren, hatten sich diese umgedreht und mit Gewehren auf sie geschossen. Alle fünf Amerikaner waren verwundet worden, auch Claude. Drei waren gestorben.Thay versicherte den Veteranen, dass ihre  Geschichten über den Krieg, über ihr Leiden und über das Leiden des vietnamesischen Volkes sehr wichtig seien. Er sagte: "Ihr seid das Licht an der Spitze der Kerze." Ihre Aufgabe sei es, der amerikanischen Öffentlichkeit, die diese Dinge ignorieren und möglichst schnell vergessen wollen, die schrecklichen Folgen des Krieges vor Augen zu halten.

Die anderen Veteranen im OMEGA INSTITUTE sammelten Geld, damit Claude nach PLUM VILLAGE reisen konnte. Es fiel ihm jedoch sehr schwer, dort zusammen mit Vietnamesen, seinen alten Feinden, zu leben. Am Anfang konnte er nicht an der Geh-Meditation teinehmen, weil er dann stets Angst hatte, er könne überfallen werden. Weil er nicht mit den anderen zusammen im Dorf leben wollte, baute er im nahen Wald sein Zelt auf und sicherte die nähere Umgebung ab, als wäre er noch im Krieg. "Ich baute mir ein Basislager, wie ich es im Krieg gelernt hatte. Und dann blieb ich jede Nacht hellwach, weil ich mich so fürchtete.".                                              

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Claude AnShin Thomas

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